Sozialversicherungsreform
Theobald von Bethmann Hollweg, als geschickter Innenpolitiker 1909 zum Reichskanzler avanciert, versucht mit einer Reform der Sozialversicherung den Klassenkampfthesen der Sozialdemokratie die Spitze zu nehmen. Er versucht sogar, die SPD zur Mitarbeit an diesem Reformvorhaben zu bewegen: Die am 15. März im Entwurf veröffentlichte Reichsversicherungsordnung (RVO) soll als grundlegendes deutsches Sozialversicherungsgesetz die bisher in zahlreichen Einzelgesetzen enthaltenen Vorschriften zusammenfassen. Damit soll die von Otto von Bismarck begonnene Sozialversicherungspolitik zum Abschluss gebracht werden (1883 Krankenversicherung der Arbeiter, 1884 Unfallversicherung, 1889 Invaliditäts- und Altersversicherung).
Entwicklung des Volkseinkommens
Was die Entwicklung des Volkseinkommens, der Löhne und der Preise betrifft, so bleibt der Wachstumsschub, der in den 90er Jahren eingesetzt hat, weitgehend stabil. Die steigenden Staatsinvestitionen auf dem Gebiet der Rüstung haben die Rüstungsindustrie und die Zuliefererbranchen nicht nur zu wichtigen Sektoren der Volkswirtschaft werden lassen, sondern wirken sich belebend auf die gesamte Wirtschaft aus. Die Erhöhung der Löhne steigert die Konsumkraft breiter Schichten des Volkes. Der Steigerung der Nominallöhne steht jedoch eine ebenfalls beträchtliche Preissteigerung gegenüber, so dass die Reallöhne nur unwesentlich steigen. Außerdem ist der Zehn- bis Zwölfstundentag weiterhin üblich, Frauen- und Kinderarbeit sind nur unwesentlich eingeschränkt. In den hierarchisch strukturierten Betrieben herrschen Unternehmer und Vorgesetzte, die bürgerlichen Rechte der Arbeiter enden in der Regel am Werkstor.
Wirtschaftswachstum
Das Wirtschaftswachstum lockt Tausende von Arbeitern in die Großstädte, am meisten betroffen ist Berlin, das seit 1905 ein Einwohnerplus von 60 000 Menschen verzeichnet. Viele Arbeiterfamilien hausen unter unwürdigen Bedingungen in Mietskasernenvierteln.