Die Kleiderschränke in Deutschland füllen sich langsam wieder. Zwar ist auch in diesem Jahr die »Haute Couture« der großen Modehäuser nur für sehr wenige Käuferinnen erschwinglich, doch wächst die Bereitschaft, einen nicht unerheblichen Teil des noch geringen Einkommens für Bekleidung auszugeben. Bei den Kundinnen ist wieder Chic und Eleganz gefragt. Große Modehäuser wie Dior bleiben so nicht ohne Einfluss auf die gesamte europäische Branche des Schneiderhandwerks, auch wenn es sich häufig nur um die Kopie von Einzeldetails handelt.
Paris steht auch in diesem Jahr unbestritten im Mittelpunkt der Modewelt. Die Kleider-Kollektion des Modeschöpfers Christian Dior wartet im Frühjahr mit der sehr figurbetonten Tulpenlinie auf, bei der das Oberteil mit raffinierten Drapierungen und tiefem Dekolleté die Blüte darstellt. Der in der Taille durch einen Gürtel eng gehaltene Rock mit Bundfalten und seitlich die Hüften modellierendem Schnitt dagegen macht den Blumenstiel aus.
Ganz anders hingegen Diors Silhouette im Herbst, als seine »Ligne Vivante« (lebhafte Linie) für Aufregung sorgt. »Betroffen sahen zunächst die Presseleute und kaugummilutschenden Amerikaner die ersten Modelle vorüberschweben«, berichtet die Modezeitschrift »Madame«. »Manets Lola schien mit ihrem runden Rock, der gerade die Knie versteckte, lebendig geworden zu sein ... Der Eiffelturm und die Kuppeln von Paris symbolisieren die schmale und weite Form der neuen Linie.« Letztere wird in der Bundesrepublik Deutschland als »Kuppellinie« bekannt. Sie bringt einen sehr weiten, versteiften Rock, der zusätzlich durch eine große seitliche oder rückwärtige Schleife betont wird; ein extravaganter Schnitt, der besonders die Cocktail-Mode belebt.
Am deutlichsten kommt Diors Kuppellinie bei seinen Mänteln zum Ausdruck, die den zarten Frauenkörper wie ein mächtiges Gewölbedach umgeben. Knopfverschlüsse und Kragen sind ganz verschwunden, an ihre Stelle tritt in der Taille eine mächtige Schleife, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Für Aufregung sorgen jedoch weniger die Schnitte als vielmehr die Saumlänge. »Madame« schreibt: »... bei Jacques Fath fielen plötzlich die Waden der Mannequins durch die verkürzte Rocklänge von 35 bis 37 Zentimetern ü. B. [über Boden] auf. Den Vogel schoß dann aber Christian Dior mit 42 Zentimetern ü. B. ab.« Die Engländer sind empört und nennen die neue Linie »Flapper-Look« (Backfischlinie).
Den stärksten Kontrast zu Diors architektonischer Kuppelform bildet Pierre Balmains Kollektion »Jolie Madame de Paris«, über die »Madame« schreibt: »Sie gleicht einem Champagnerkelch und hat auch die luxuriöse, spritzige Eleganz, an der man die Pariserin erkennt. Raffiniert sind alle Modelle. Tagsüber sind Oberteil und Schultern verbreitert, abends wird der Champagnerkelch umgedreht, und die Weite der Röcke springt ab Kniehöhe kelchförmig auf.« Bei Balmains Kostümen beleben statt Kragen und Revers Pelzgarnituren wie Krawatten und Muffs aus Persianer, Nerz oder Blaufuchs das Erscheinungsbild. Auch Jacques Fath ist dieses Jahr von der Architektur, vom »Römischen Bogen«, inspiriert. Am deutlichsten tritt seine Silhouette durch die geblähten Ärmel hervor. Sie sind tief angesetzt und oft kurz, so dass die Silhouette einem großzügig entfalteten Kapitell auf einer schlanken Säule gleicht. Die Röcke, ob schmal, zwickelförmig oder leicht glockig, steigen bis unter die Brust, ohne Hüfte oder Taille besonders hervorzuheben. Am ausgefallensten sind seine dreiviertellangen, eiförmig geschnittenen Jacken und die sanduhrähnlichen Mäntel. Hubert de Givenchy zeigt eine sehr exotische Kollektion unter dem Motto »Geheimnis«, die durch kostbare Stoffe mit asiatisch beeinflussten Dessins beeindruckt.
Was für Paris die Haute Couture ist, ist für Berlin die Luxuskonfektion. Berlin hat wie Paris eine gewachsene Modeindustrie. 50 000 Personen sind in der Berliner Konfektion beschäftigt, die damit der zweitgrößte Wirtschaftszweig der Stadt ist.
Berlins Mode hat dieses Jahr eine charakteristische Linie: Schmale, abfallende Schultern, deutlicher Taillenknick, runde Hüften, so dass die gefalteten, plissierten, glockigen und gereihten Röcke zwei bis 20 Zentimeter unterhalb der natürlichen Taille ansetzen. Der Hals wird weich und schmeichelhaft von Kelch-, Tulpen- und kleinen Stehkragen umrahmt.
Bei den Berliner Couturiers ist das Haus Gehringer und Glupp führend, besonders auf dem amerikanischen Markt. Es propagiert lässig saloppe Eleganz und zieht die Kleider nicht mehr eng um den Körper, sondern gibt dem schönen Material Bewegungsfreiheit. Großzügig geschnitten und mutig in den Farb-und Materialkompositionen sind die Vorschläge der Horn-Modegesellschaft, während Heinz Oestergaard auf betont jugendliche Modelle setzt.
Etwas anders stellt sich die Garderobe der Normalverbraucherin dar. Sie stellt sich erst jetzt auf Diors »Schlangenlinie« vom letzten Jahr ein. Das lässt sich bei den Kostümen verfolgen, die eine neue Rückenpartie mit eingelegten Falten oder losem Dragoner erhalten. Eine große Rolle vom Vormittag bis in die Nacht hinein spielt hier das »Deux Pieces«, das zweiteilige Kleid, das nur sehr verhalten modische Auswüchse aufnimmt. Besonders jugendlich dagegen wirken jene Kleider mit weitem, schwingendem Rock, bei denen man für den Sommer so Ausgefallenes wie ein anzippbares Bolerojäckchen findet. Als typische Modefarbe gilt immer noch Grau in allen Schattierungen von Silber bis Rauch, nasse und trockene Kiesel bis zu den Imprimés in Schwarzweiß, dazu viel sonniggelbe Töne von Mais bis zum trockenen Sand ... Für Imprimés werden interessante abstrakte Dessins bevorzugt, aber auch armenische Muster auf Cotton oder Wolle und plastisch eingewebte, sehr farbige Blumen auf schwarzem Grund.
Wie stets ist die Bedeutung der Herrenmode gegenüber jener der Damenmode bescheiden. An dem 1950 aufgekommenen »New-Edwardian-Style« hat sich nichts Grundlegendes verändert. Bei diesem ist auffallend, dass der oberste Knopf der Drei-, vielfach auch Vierknopffront vom Revers nicht mehr überrollt, sondern geschlossen wird, so dass der Halsausschnitt klein, und das Revers kurz und schmal ausfällt.