Als unabhängiges Beratungsgremium aus Pädagogen, Wissenschaftlern und Elternvertretern wird am 22. September in Bonn der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen gegründet. Die Notwendigkeit, einen solchen Ausschuss einzurichten, der für die Bundes- und Länderregierungen Vorschläge zur Lösung bildungspolitischer Aufgaben entwickeln soll, illustriert die Situation im bundesdeutschen Bildungswesen: Die Ära schulpolitischer Reformen und pädagogischer Experimente der ersten Nachkriegsjahre hat zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Schulformen und Unterrichtsmethoden geführt, die der Vereinheitlichung bedürfen.
Ein »echtes Symptom für das Hickhack ... um viele der seit 1945 eingeführten Schulreformen« sieht z. B. »Der Spiegel« im Streit um die Einführung der sog. Ganzwortmethode im Lese- und Schreibunterricht für Erstklässler. Seit Anfang der 50er Jahre unterrichtet eine wachsende Zahl von Lehrern nach dieser Methode, ohne dass es dazu verbindliche Richtlinien gäbe. An zahlreichen Schulen kommt es daher zum Konflikt mit Elternvertretern, die darauf bestehen, dass ihre Kinder nach der traditionellen »Abc-Methode« unterrichtet werden.
In den unteren Klassen der Volksschule wird auch mit dem Bruch des traditionellen Unterrichtssystems experimentiert, bei dem der Lehrer der in geschlossenen Reihen sitzenden Klasse frontal gegenüberstand. Die Schulkinder sitzen stattdessen in kleineren Gruppen und sollen so zum gemeinsamen Lernen angehalten werden.
Reformerische Impulse scheitern im Schulalltag häufig an den unzureichenden Unterrichtsbedingungen. Noch immer gibt es viele Zwergschulen, in denen mehrere Jahrgänge in einer Klasse unterrichtet werden. Von den 29 200 Volksschulen haben fast 14 000 nur eine oder zwei Klassen. Die Bildung leistungsfähigerer Schulen wird u. a. durch die vor allem von der katholischen Kirche heftig verteidigten 15 200 konfessionellen Bekenntnisschulen erschwert: Die Zusammenlegung kleinerer Schulen unterschiedlicher Konfessionen wird dadurch verhindert.
Wie bereits 1950 die neue CDU-geführte Regierung in Schleswig-Holstein schafft der konservative »Hamburg-Block« nach seinem Wahlsieg vom November die für alle obligatorische sechsjährige Volksschulzeit in der Hansestadt ab. Allein Bremen behält dieses System bei, das u. a. zur Verbesserung der Chancengleichheit von Kindern aus unterschiedlichem sozialem Milieu beitragen soll. Etwa 85% eines Jahrgangs bleiben derzeit nach der vierten Klasse auf der Volksschule.
Zunehmend diskutiert wird die bundesweite Einführung eines neunten Pflichtschuljahres, das in den SPD-regierten Städten Hamburg und Berlin (West) bereits die Regel ist. Von dem in allen Bundesländern angebotenen freiwilligen neunten Schuljahr wird nur wenig Gebrauch gemacht: Noch nicht einmal jeder sechste Schüler nutzt diese Möglichkeit.