Die Reisefreudigkeit der bundesdeutschen Bevölkerung erreicht 1959 ihren bisherigen Höhepunkt und übertrifft alle Rekorde seit Ausbruch der großen Reiselust in den Jahren 1951/52. Bis zum Ende der Sommersaison Anfang Oktober fahren etwa 13 Millionen Einwohner der Bundesrepublik in Urlaub; das sind 15% mehr als 1958.
Besonders zufrieden sind die Reiseunternehmen mit dem Geschäft in der Vorsaison. Wesentlich mehr Urlauber als bisher verleben ihre Ferien schon vor den Sommermonaten. Als neue Erscheinung zeichnet sich wegen der in vielen Tarifbereichen eingeführten Fünftagewoche der Kurzurlaub von zwei bis drei Tagen ab. Auch die fortschreitende Motorisierung trägt zu einem Strukturwandel im Fremdenverkehr bei: Die Einzelreise gewinnt wesentlich an Boden. Der eigene Pkw ermöglicht eine kurzzeitige Flucht aus der Stadt in die letzten »Oasen der Stille« auf dem Land.
Fünftagewoche und verlängerte Freizeit sind auch das Thema einer vom Allensbacher Institut für Demoskopie erhobenen Umfrage: »Was tun Sie am Sonnabend?« Die vielbeklagte Vergnügungssucht scheint nach den Ergebnissen der Untersuchung eher ein Problem von Moralaposteln und Zeitkritikern zu sein. Von 100 Befragten gehen nur zehn ins Kino und drei zum Tanzen, acht sitzen im Laufe des Tages einmal in einem Café oder Restaurant, 13 besuchen Verwandte oder Bekannte. Sieben berichten von Ausflügen mit Auto oder Motorrad, weitere sieben begeben sich zu Fuß oder mit dem Rad ins Grüne, vier treiben Sport. Weitaus die meisten jedoch bleiben am Wochenende zu Hause, lesen, basteln und reparieren oder schauen einfach aus dem Fenster.
Die beliebtesten ausländischen Reiseziele sind Österreich mit den Ländern Tirol, Kärnten und der Steiermark sowie Italien. Es folgen Spanien, Jugoslawien und Griechenland. Die Schweiz und Frankreich bleiben aus Kostengründen für die Masse der Reisenden Durchgangsländer. Dagegen hat sich herumgesprochen, dass man in Jugoslawien, besonders an der Adriaküste, zu besonders günstigen Preisen Urlaub machen kann.
Weiter durchgesetzt haben sich kombinierte Reisen mit Flugzeug, Schiff, Bahn und Autobus. Sie bringen die Urlauber, die mehr Geld ausgeben können, bis nach Nordafrika und auf die Kanarischen Inseln. Auch Kreuz- und Erholungsfahrten durch das östliche Mittelmeer sind beliebt. Auf den Mittelmeerinseln suchen ebenfalls viele Bundesbürger Erholung und Entspannung. Dabei hält Mallorca mit 20 000 Feriengästen aus der Bundesrepublik ganz klar die Spitze. Die Preise für zwei- bis dreiwöchige Pauschalreisen liegen hier zwischen 399 und 789 DM.
Die Zahl der bundesdeutschen Balearen-Urlauber ist 1959 allerdings niedriger als in den Vorjahren, da sich ein hartnäckiges Misstrauen gegen Ferienflüge eingenistet hat, seitdem das in Konkurs gegangene Flugunternehmen Krukenberg im Herbst 1958 wochenlang einige Dutzend Gäste mittellos auf Teneriffa hatte sitzenlassen.
Laut Umfrageergebnissen sind die Bundesbürger sowohl auf Mallorca als auch in Frankreich die beliebtesten Touristen. Die französische Gaststätten- und Hotelierszeitschrift »L'Hotellerie« stellt fest, dass die Bundesbürger großzügig mit Trinkgeldern sind, viel ausgeben und nicht besonders hohe Ansprüche stellen.
Trotz der stetigen Zunahme der Auslandsbuchungen verbringt nach wie vor der allergrößte Teil der Bundesdeutschen seinen Urlaub im eigenen Land. Mehr als 9 Millionen, das sind 69% der Urlaubsreisenden, erholen sich an den Nord- und Ostseeküsten, im Schwarzwald und in Bayern. Das Allgäu wird besonders in der Wintersaison von immer mehr Urlaubern angesteuert. Skifahrer und Rodler haben in dieser Region in den Monaten Dezember bis März die Übernachtungsstatistik stark ansteigen lassen. Der bisher so beliebte Campingurlaub verliert mit der weiteren Erhöhung von Löhnen und Gehältern an Attraktivität. Nach Angaben von Reisefachleuten wurde hier der Höhepunkt bereits im Jahre 1958 überschritten.
Wie die Deutsche Gesellschaft für internationalen Jugendaustausch berichtet, ist auch die Jugend seit Kriegsende immer anspruchsvoller geworden. Die Zeiten des einsamen Wanderns und der nächtlichen Lagerfeuer gehören endgültig der Vergangenheit an. Selbst Jugendherbergen verlieren an Attraktivität wegen zahlreicher Beschränkungen wie Rauchverboten und frühen Schlafenszeiten. Stattdessen streben die Jugendlichen nach dem Vorbild ihrer Eltern vermehrt ins Ausland und nutzen die Angebote von organisierten Gruppenreisen.