Die Mailänder Möbelmesse im September 1985 ist einmal mehr ein Spiegelbild des modernen Möbeldesigns, wobei sich zwei unterschiedliche Stile präsentieren: Eine Gruppe von Herstellern wie Zanotta und Michele DeLucci (beide Italien) sowie Philippe Starck (Frankreich) zeigen Möbel, die ihre Verwandtschaft mit Vorbildern aus den 20er und 30er Jahren nicht leugnen können, andere – wie Angelo Mangiarotto mit seinen auf steinernen Füßen ruhenden Tischen und Alessandro Mendini mit seinen vierfarbig lackierten Tischen im Stil der 50er – setzen auf das Zusammenwirken unterschiedlicher Werkstoffe und Farben als Erfolgskonzept.
Italien gilt seit der Gründung von Designergruppen wie »Alchimia« (seit 1976) und vor allem »Memphis« durch den 1917 in Österreich geborenen Ettore Sottsass im Jahr 1981 als das Mekka der Avantgarde. In Abkehr von den jahrzehntelang gültigen Maximen des »Bauhaus«-Gründers Walter Gropius aus den 20er Jahren, wonach ein Gebrauchsgegenstand in erster Linie »seine Funktion praktisch erfüllen, haltbar, billig und schön« sein soll, steht für diese Designer die fantasievolle Form im Vordergrund ihrer Bemühungen.
Die Funktion der Dinge wird nicht mehr mit ihrer Nützlichkeit gleichgesetzt – die so geschaffenen Objekte wollen den Betrachter provozieren und in seinen eingefahrenen Vorstellungen vom Aussehen eines Möbelstücks oder Gebrauchsgegenstands verunsichern. Der Ruf nach Funktionalität gilt diesen Designern als Vorwand für die Langeweile der Konfektionsware und wird deshalb mit Entschiedenheit abgelehnt.
Der Übergang vom Design zur Kunst erscheint fließend: Die Möbel sind keine Möbel mehr, sondern Objekte. Die in der Pariser Möbelgalerie NEOTU – einer der wichtigsten Ausstellungsplätze des sog. Neuen Designs – versammelten Exponate zeigen diese Entwicklung. Der 1985 entstandene Zita-Tisch von Épinard Bleu (Werkstoffe sind Aluminium, Holz, farbiges Glas mit an den Stuhlbeinen angehängten Strümpfen) z.B. zehrt von der Gegenüberstellung von Ordnung und Unordnung. Dieses Objekt brüskiert geradezu alle Erwartungen des Betrachters von Symmetrie und Funktionalität eines Möbelstücks. Beeinflusst von solchen internationalen Vorbildern erproben auch junge deutsche Designer wie die Kooperativen »Kunstflug« (Düsseldorf), »Möbel perdu« (Hamburg) und »Bellefast« (Westberlin) mit unkonventionellen Formen, unterschiedlichsten Werkstoffen und schrillen Farben den frontalen Angriff auf die Vorstellungen von traditioneller Wohnkultur.
Die Frage, ob Schock oder Charme überwiegt, muss der Betrachter selbst entscheiden, z.B. auf einer Werkschau der deutschen Avantgarde in Wuppertal zwischen März und April 1985.
Der oft gescholtene »Massengeschmack« wird dagegen auf Veranstaltungen wie der Kölner Möbelmesse im Januar gezeigt. Die große Schau von 1500 Ausstellern aus 32 Ländern dokumentiert die endgültige Abkehr von den »Wohnlandschaften«, die bis zum Beginn der 80er Jahre fast zwei Jahrzehnte lang die deutschen Wohnzimmer füllten, und die Hinwendung zum exklusiven, vielfach kostspieligen Einzelstück wie einer übergroßen Récamière (Ruheliege) mit dem Namen »Die Welle«, die immerhin 14 000 DM kostet.
Der Trend ist klar: Statt schaumstoffgepolsterter Großgarnituren sind zierliche Zweisitzer en vogue, variable Liegesessel und Schaukelstühle. Auch längst vergessen geglaubte Fossile der Wohnkultur werden wieder entdeckt wie der Ohrenbackensessel aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Auch bei dieser Geschmackswende half ein Rückgriff auf die Vergangenheit: Die Vorbilder vieler Entwürfe stammen aus den 20er und 50er Jahren.
Nur die 60er und 70er Jahre – die Zeit der klotzigen Schrankwände, raumfüllenden Polstergarnituren und Fernsehsessel – harren noch der Wiederentdeckung.