Abitur und Studium – jahrzehntelang die Garanten für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg – scheinen allmählich an Wert zu verlieren. Die im Vergleich zu früher größere Anzahl von Hochschulabsolventen führt zu einem Anwachsen der Akademikerarbeitslosigkeit und zur Suche nach Alternativen zum Studium. Der zunehmende Andrang von Abiturienten in die betriebliche Ausbildung setzt jedoch auch hier einen Verdrängungswettbewerb in Gang.
Insgesamt ist in dieser Situation ein Trend zu höheren Bildungsabschlüssen zu verzeichnen: Nimmt man die jeweils 13-jährigen als Maßstab, so besuchten 1960 noch 70% dieser Altersgruppe die Hauptschule, 1985 nur noch 37%. Zugleich stieg die Zahl ausländischer Schüler: 1975 war etwa jeder 26. Schüler an allgemeinbildenden Schulen ausländischer Herkunft, 1985 schon jeder Die Zahl der Studenten hat sich zwischen 1960 und 1985 mehr als verfünffacht, 1960 kamen 44 Hochschüler auf 10 000 Einwohner, 1985 sind es 219. Das Bildungsniveau ist deutlich gestiegen: 1985 haben rd. 30% der Bevölkerung über 15 Jahre einen höherwertigen Bildungsabschluss (Realschule, Fachhoch-, oder Hochschulreife). In der Gruppe der 20- bis 30-jährigen haben über die Hälfte (51%) einen solchen Abschluss während im Altersjahrgang ab 60 nur etwa 18% Realschule oder Gymnasium erfolgreich abgeschlossen haben.
Angesichts der sinkenden Schülerzahlen – 1976 erreichte die Schülerzahl mit mehr als 10 Mio. an allgemeinbildenden Schulen den Höchststand und sank dann kontinuierlich auf 7,2 Mio. in 1985 – hat sich die Schüler-Lehrer-Relation verbessert: Kamen 1970 an den Grund- und Hauptschulen noch 31,6 Schüler auf einen Lehrer, so sind es 1985 nur noch 17,8. Für die Realschulen lauten die entsprechenden Verhältniszahlen 23,1 und 17,7 und für die Gymnasien 18,8 und 14,3.
Für die Pädagogen hingegen bedeuten die sinkenden Schülerzahlen aufgrund des »Pillenknicks« vor allem eine Zunahme der Lehrerarbeitslosigkeit. Aber auch Absolventen anderer geisteswissenschaftlicher Studienrichtungen klagen verstärkt über Arbeitslosigkeit. Prognosen über zukunftsträchtige Studienrichtungen sind problematisch – was heute noch richtig ist, kann morgen schon völlig falsch sein.
Bildungsexperten befürchten, dass sich der Weg an die Universität immer mehr als eine Sackgasse erweist. Angesichts der ungewissen Zukunftsaussichten nach Abschluss eines Studiums wächst die Zahl der Schulabgänger mit Hochschulreife, die eine betriebliche Berufsausbildung anstreben. Nur noch 59% der Abiturienten wollen im Jahr 1985 auch wirklich studieren, 1972 waren es noch 90%.
Zwar ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge (697 000 in 1985) erstmals seit 1981 wieder leicht rückläufig, dennoch stehen im Jahr 1985 den 22 000 unbesetzten Ausbildungsplätzen noch 59 000 unvermittelte Bewerber gegenüber. In Hamburg und anderen Bundesländern wird eine Verlängerung der Schulzeit als Mittel gegen die Jugendarbeitslosigkeit erprobt: Wer seine Schulpflicht erfüllt hat, aber anschließend keine Lehrstelle bekommt, soll in Hamburg ein 10. Jahr in einer allgemeinbildenden oder beruflichen Vollzeitschule und ein 11. Jahr in einer berufsbildenden Schule anhängen können.
Angesichts der verstärkten Neigung von Abiturienten zur beruflichen Ausbildung wächst der Verdrängungswettbewerb, zumal die Verteilung der Ausbildungsplätze deutliche Schwerpunkte erkennen lässt 64% der Ausbildungsplätze männlicher und 81% aller Ausbildungsplätze weiblicher Auszubildender entfallen auf 25 von insgesamt 429 anerkannten Ausbildungsberufen. Bei den Jungen steht der Kraftfahrzeugmechaniker an der Spitze der Beliebtheitsskala, bei den Mädchen Verkäuferin und Friseurin wobei allerdings ein Trend zum Ergreifen von »Männerberufen« wie Maler und Lackierer stärker wird.