»Alle Angeklagten werden zu lebenslanger Haft verurteilt.« Der Urteilsspruch vom 12. Juni 1964 im Prozess gegen Nelson Mandela und andere Anhänger des African National Congress (ANC) wird einerseits mit Erleichterung aufgenommen. Andererseits löst er unter den Farbigen und den liberalen Weißen in Südafrika sowie weltweit Empörung aus. Handelt es sich beim Kampf des ANC gegen die Apartheid doch um nichts weiter als um die klassische Geschichte des Kampfes der Menschen um Freiheit und Würde. Schuldig in diesem Sinne ist die südafrikanische Regierung. Nelson Mandela steigt auf zum berühmtesten Gefangenen der Welt und nach seiner Freilassung 1990 zum Führer Südafrikas aus der Apartheid.
Biografie von Nelson Mandela
18.7.1918: Nelson Rolihlahla Mandela im Dorf Qunu bei Umtata in der Transkei an der Ostküste Südafrikas geboren.
1938-1942: Jurastudium an der Hare-Universität in Südafrika.
1944: Beitritt zum »Afrikanischen Nationalkongress (ANC).
1952: Eröffnung einer Kanzlei in Johannesburg.
1956: Anklage wegen Hochverrats
1964-1990: Aufenthalt auf der Sträflingsinsel Robben Island und in Pollsmoor.
1993: Friedensnobelpreis gemeinsam mit Frederic Willem de Klerk.
1994-1999: Staatspräsident von Südafrika.
Apartheid steht für totale Rassentrennung in Südafrika in allen Bereichen des Lebens, steht für Entrechtung und Diskriminierung der Farbigen. Nicht nur Schwarze, auch eingewanderte Inder beispielsweise dürfen nur in bestimmten Wohnvierteln leben und in spezielle Schulen gehen, dürfen nur festgelegte Sitze in öffentlichen Verkehrsmitteln benutzen und keine Liebesbeziehungen zu Weißen knüpfen, dürfen nicht frei wählen und bestimmte Berufe ergreifen. Apartheid soll die politische und ökonomische Vormachtstellung der weißen, burischen Minorität gegenüber der schwarzafrikanischen Mehrheit sichern.
Der Häuptlingssohn Nelson Rolihlahla Mandela wurde am 18. Juli 1918 im Dorf Qunu bei Umtata in der Transkei, an der Ostküste Südafrikas, geboren. Nelson sollte einmal die Nachfolge seines Vaters als Häuptling der Thembu antreten. 1938 begann er im rassengetrennten Südafrika an der für Farbige zugelassenen Universität Hare das Studium der Rechtswissenschaften. Schon 1940 wurde er der Hochschule verwiesen, weil er einen Studentenstreik mitorganisiert hatte. Mandela ging nach Johannesburg und arbeitete als Polizist und Minenaufseher, nebenbei absolvierte er ein Fernstudium und erwarb 1942 die Zulassung als Rechtsanwalt.
Zur gleichen Zeit etwa schloss sich Mandela dem ANC an, um gegen die rechtlose Situation der Farbigen in Südafrika aktiv zu werden. Die Organisation empfand er bald als zu gemäßigt, um die Zustände zu verändern. Er gründete mit seinem Freund Oliver Tambo und dem Schwarzen Führer Walter Sisulu vom ANC eine Jugendorganisation, die sich als militant verstand und notfalls mit militärischen Mitteln das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Farbigen in Südafrika durchsetzen wollte.
Gemeinsam mit Oliver Tambo eröffnete Mandela 1952 das erste farbige Rechtsanwaltsbüro in Johannesburg, Er organisierte Massenproteste und Kampagnen des zivilen Ungehorsams. 1952 verurteilte ihn ein Gericht deswegen zu neun Monaten Haft und untersagte ihm jegliche politische Betätigung. Doch Mandela machte weiter. 1956 wurde er mit 156 anderen Oppositionellen des Hochverrats angeklagt. Der Prozess zog sich bis 1961 hin und endete mit einem Freispruch. Der ANC wurde verboten. Im März 1962 tauchte Mandela ab in den Untergrund und gründete die ANC-Militärorganisation Umkonto we Sizwe (Speer der Nation) mit. Entgegen des Verbots, das Land zu verlassen, nahm er an der panafrikanischen Konferenz in Adis Abeba 1962 teil, warb für die Ziele des ANC, ließ sich in Algerien im Guerilla-Krieg ausbilden und traf in London Oppositionsführer. Kurz nach seiner heimlichen Rückkehr wurde er festgenommen und zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Noch während er diese Strafe verbüßte, wurden Mitstreiter des ANC in ihrem Hauptquartier auf der Farm Lillieslief 15 Kilometer nördlich von Johannesburg festgenommen. Dabei stellte die Polizei auch belastendes Material sicher, nach dem der ANC Terrorakte und Umsturzversuche durchgeführt hatte bzw. plante. Man dela war einer der Hauptangeklagter in dem Prozess, der 1964 mit dem Urteil »Lebenslang« endete.
Führer Südafrikas
Mit der Freilassung Mandelas nach 27 Jahren Haftstrafe begann sein steiler Aufstieg zum Führer Südafrikas aus der Apartheid in eine demokratische Zukunft, die Weißen und Farbigen gleiche Rechte und Chancen sichern sollte. Bereits am 2. März 1990 wurde er zum Vizepräsidenten des Al gewählt. In Verhandlungen mit der Regierung unter Frederic Willem de Klerk (geb. 1936) setzte der ANC durch dass alle wesentlichen Apart-Gesetze abgeschafft wurden. Der ANC sagte seinerseits die Aussetzung des bewaffneten Kampfes zu, was jedoch nicht gänzlich eingehalten wurde. Der Druck auf de Klerk stieg zudem weil Anhänger des Inkatha (Freiheit der Nation), dem überwiegenden Mitglieder des Zulu-Volkes angehörten, und ANC, in dem mehrheitlich Xhosa organisiert waren, immer wieder blutige Auseinandersetzungen führten. ANC und Inkatha hatten unterschiedliche Vorstellungen vom neuen Südafrika. Im September 1991 gelang jedoch eine Einigung zwischen Regierung, ANC und Inkatha sowie weiteren politischen Führern auf ein Friedensabkommen, in dem ein Verhaltenskodex für Parteien und Sicherheitskräfte festgelegt war, um weitere Eskalationen zu verhindern.
1991 trat eine Mehrparteienkonferenz erstmals zusammen, in der Mandela als Präsident des ANC (seit Juni 1991) seine Delegation anführte. Aufgabe der Konferenz war es, eine demokratische Verfassung und dafür notwendige Veränderungen zu diskutieren und vorzubereiten. Als Kontrollorgan der Regierung bis zu den Wahlen 1994 wurde im September 1993 ein gemischtrassiger Exekutiv-Rat vereinbart, der seine Arbeit am 7. Dezember 1993 aufnahm. Schon vor den Wahlen im April 1994 wurden die vier für unabhängig erklärten Homelands Bophuthatswana, Ciskei, Transkei und Venda wieder eingegliedert. Sie waren im Zuge der Apartheid aus Südafrika ausgegliedert und ihren Bewohnern die Staatsbürgerschaft aberkannt worden. Das bedeutete, dass sie sich lediglich als »Fremdarbeiter« in Südafrika verdingen konnten. Die sechs autonomen Homelands wurden aufgelöst, statt dessen Südafrika in neun Provinzen gegliedert.
Für den Mut und die Entschlossenheit, mit der Mandela und de Klerk die Beendigung der Apartheid in Südafrika auf möglichst friedlichem Weg vorantrieben, zeichnete sie das Nobel-Komitee in Oslo 1993 mit dem Friedensnobelpreis aus. Dennoch war der politische Wandel in Südafrika weiterhin von gewaltsamen Konflikten zwischen Anhängern des ANC und des Inkatha insbesondere in Natal und KwaZulu begleitet. Täglich forderten die Auseinandersetzungen neue Opfer. Nicht nur in Südafrika stieg die Sorge, dass ein nicht mehr zu kontrollierender Bürgerkrieg entstehen könnte.
Erste freie Wahlen
Erstmals konnten vom 26. April bis 29. April 1994 alle Wähler in dem 340 Jahre lang von weißer Alleinherrschaft bestimmten Südafrika ein Parlament wählen, in dem alle Rassen vertreten sein durften. Es waren 400 Abgeordnete der Nationalversammlung zu wählen sowie die Vertreter der Versammlungen der neuen neun Provinzen. Jeweils zehn von ihnen bildeten den Senat. Der ANC vereinigte bei diesen ersten freien Wahlen 62 Prozent der Stimmen auf sich, die Nationale Partei (NP) de Klerks als zweitstärkste Partei 20,4 Prozent und die Inkatha Freiheitspartei (IFP) 10,5 Prozent. Der ANC war somit in der Nationalversammlung mit 252 Sitzen vertreten, die NP mit 82, die IFP mit 43. Sieben der neun neuen Provinzen wurden zudem vom ANC dominiert.
Am 9. Mai 1994 wurde Nelson Mandela in einem wahrhaft historischen Augenblick von der Nationalversammlung zum ersten farbigen Präsidenten Südafrikas gewählt. Er trat an, die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Südafrika zu verringern und die Position der Farbigen nach 340 Jahren der Unterdrückung durch die Weißen anzugleichen. Zunächst unterstützten ihn bei diesem Vorhaben eine boomende Landwirtschaft und eine insgesamt freundlich gestimmte Wirtschaft, in die auch vom Ausland investiert wurde.
Vergeben, nicht vergessen
Die neue Verfassung, die 1996 die Übergangsverfassung ablöste, aber in weiten Teilen mit dieser identisch war, definierte Südafrika als demokratischen Staat mit einem Präsidenten, der ähnlich wie der der USA oder Frankreichs mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattet ist. Mit hoher Priorität verfolgte Mandela in diesem Amt die Aussöhnung zwischen Schwarz und Weiß, ein Unterfangen, das beinahe aussichtslos schien nach jahrhundertelangem Hass und blutiger Gewalt auf beiden Seiten. Unter der Leitung von Erzbischof Desmond Tutu (geb. 1931) setzte er eine »Wahrheitskommission« ein, die Verbrechen während der Apartheid von beiden Seiten aufklären sollte. Ziel war nicht die Verurteilung der Schuldigen, sondern »Vergeben ohne zu vergessen«. Wer seine Untaten zugab, wurde zumeist begnadigt. Mandela vermied so die Zweiteilung des Volkes in Täter und Opfer, was als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Versöhnung von Farbigen und Weißen in Südafrika gilt. Auch außenpolitisch gewann Südafrika neue Konturen unter Mandelas Führung. Er nahm zunehmend die Vermittlerrolle in regionalen Konflikten ein, z.B. in Angola, im Kongo und im Sudan. 1996 zog sich Mandela, inzwischen 78-jährig, aus dem Vorstand des ANC zurück, 1999 trat er auch nicht mehr zur Präsidentschaftswahl an. Nachdem er 1992 von Winnie Mandela geschieden worden war, der die Beteiligung an der Folterung schwarzer Jugendlicher nachgewiesen werden konnte, heiratete Mandela 1998 im Alter von 80 Jahren Graça Machel, die Witwe des Ex-Präsidenten von Mosambik. Mandela kommt das Verdienst zu, Südafrika aus der Apartheid in eine Demokratie geführt zu haben, doch gingen Kritikern die Reformen nicht rasch genug voran, vielen auch nicht weit genug. Die Vernachlässigung der Immunschwächekrankheit Aids, von der Südafrika infolgedessen zu Beginn des 3. Jahrtausends weltweit am stärksten betroffen ist, und die zunehmende Verarmung der unteren, meist farbigen Klassen habe Mandela nicht früh genug und nicht entschieden genug bekämpft.