Zwar zählen die Deutschen - so ergibt eine im Dezember 1996 vorlegte Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) -weltweit zu den Menschen mit dem höchsten Bildungsstand, doch bei den Bildungsausgaben wird angesichts knapper öffentlicher Mittel immer mehr gespart.
13% der Deutschen zwischen 25 und 64 Jahren haben ein Hochschulstudium beendet, im OECD-Durchschnitt sind es 12%. Deutschland liegt auf Rang sechs hinter USA (24%), Niederlande (21%), Kanada (17%), Norwegen (16%) und Dänemark (14%).
Die Vergleichsstudie weist jedoch auch auf Schwachpunkte hin: Deutsche Schüler und Studenten befinden sich am längsten in der Ausbildung. Hier vergehen im Durchschnitt 19 Jahre von der Einschulung bis zum Hochschulexamen. Noch längere Ausbildungszeiten werden nur in Griechenland mit 23 und Italien mit 20 Jahren verzeichnet. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 16 Jahren. Zwar nehmen Mathematik und Naturwissenschaften im Stundenplan der deutschen Schüler mit jährlich 225 Stunden einen vorderen Platz ein, doch was die Leistungen angeht, so stehen die deutschen Achtklässler - so hat es die OECD ermittelt - unter 26 Ländern auf dem 16. Platz.
Angesichts solcher Zahlen und der wachsenden Kritik aus der Wirtschaft, die Schüler würden nicht gemäß den Erfordernissen der späteren Berufswelt ausgebildet, steigt die Bereitschaft zu Reformen. So ermöglicht Hessen ab 1996/97 landesweit als erstes Bundesland die Bündelung der Fächer Biologie, Chemie und Physik zu einem »Lernbereich Naturwissenschaften«.
Im Saarland als dem ersten alten Bundesland vereinbaren im Januar die Bildungspolitiker von SPD und CDU, die Hauptschule als eigene Schulform abzuschaffen, weil sie nur noch von 8% eines Jahrgangs besucht wird. Nach einer im Mai vorgelegten Umfrage des Instituts für Schulentwicklung (IFS) in Dortmund wünschen nur 2% der Eltern von Grundschülern den Hauptschulabschluss für ihr Kind, und nur 6% der befragten Eltern glauben, dass ein solcher Abschluss eine sichere Voraussetzung für einen Arbeitsplatz ist.
Dagegen streben 45% der Befragten für ihr Kind einen mittleren Bildungsabschluss an und 49% wünschen sich das Abitur als Ausbildungsziel.
Kritik vor allem von den beiden großen christlichen Kirchen ruft die am 28. März vom Landtag in Brandenburg beschlossene Einführung eines Unterrichtsfachs »Lebensgestaltung – Ethik - Religionskunde« (LER) hervor. LER wird ab der siebten Klasse erteilt, es soll die Schüler über unterschiedliche Weltanschauungen und Religionen informieren und ihnen Orientierung bieten. Es tritt an die Stelle des kirchlichen Religionsunterrichts, den es in Brandenburg nur noch als freiwilliges Zusatzfach geben soll.
Nach langer Debatte vereinbaren die Kultusminister der Länder am 25. Oktober auf einer Konferenz in Dresden die Neuregelung der Hochschulreife. Das Abitur kann in der Regel nach 13 Schuljahren absolviert werden, eine Verkürzung auf zwölf Schuljahre - ein Wunsch der Länder Sachsen und Thüringen - ist nur mit einer höheren Wochenstundenzahl von der fünften Klasse an möglich. Bei neun Jahren Oberschule sind 29,5 Stunden Unterricht pro Woche notwendig, bei nur acht Jahren mindestens 33,1 Stunden.
Gestärkt werden die Abiturfächer Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache. Hier müssen in der gymnasialen Oberstufe je vier Kurse belegt werden.
Bei den Bildungsausgaben des Staates liegt Deutschland laut der OECD-Studie mit 5,9% des Bruttoinlandsprodukts um 0,2 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt. Allerdings sind die Bildungsausgaben der OECD-Länder nicht voll miteinander vergleichbar, da in Deutschland ein Teil der Bildungsausgaben nicht vom Staat finanziert wird und der Anteil der Fünf- bis 29-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in den einzelnen Ländern stark variiert. Für die Ausbildungsförderung geben Bund und Länder 1996 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 2,7 Mrd. DM und damit 5% weniger als 1995 aus. Im Durchschnitt werden 100 000 Schüler und 270 000 Studenten pro Monat unterstützt. Eine Reform der BAföG-Regelungen bleibt zunächst aus. Eine große Mehrheit der Länder-Wissenschaftsminister favorisiert ein »Drei-Körbe-Modell«, wonach alle Studenten eine einheitliche Grundförderung von etwa 500 DM erhalten - statt wie bisher BAföG, Kindergeld und Steuerfreibeträge für ihre Eltern. Für Bedürftige sind aufbauende Förderungen vorgesehen. Im Wintersemester 1995/96 gibt es an deutschen Hochschulen 1,86 Mio. Studierende.