Die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer sind die einzigen innerhalb der EU, die in der Zeitspanne zwischen 2000 und 2008 Reallohnverluste hinnehmen mussten, nach Berechnungen des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung um 0,8?%. Dazu hat neben den niedrigen Lohnabschlüssen in den Jahren mit hoher Arbeitslosigkeit auch die sog. negative Lohndrift beigetragen. Während in anderen Staaten die tatsächlich gezahlten Löhne oftmals deutlich stärker steigen als die Tariflöhne, war dies in Deutschland in den letzten Jahren häufig umgekehrt: Die Lohnerhöhungen fielen niedriger aus, als in den Tarifverträgen vereinbart war. Eine Ursache dafür ist die rückläufige Tarifbindung – nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeiteten 2007 unter den in der Privatwirtschaft Beschäftigten in Westdeutschland 19?% und in Ostdeutschland 28?% in Betrieben ohne tarifvertragliche Bindung und ohne Anlehnung an einen Branchentarifvertrag; 2003 waren es nur 14 bzw. 22?%. Die zweite Ursache liegt darin, dass immer mehr Tarifverträge es Betrieben erlauben, unter bestimmten Bedingungen von den getroffenen Vereinbarungen nach unten abzuweichen.
Was die Tariferhöhungen angeht, ist 2008 nach langer Zeit des Verzichts für die Arbeitnehmerschaft endlich wieder ein gutes Jahr. Die Tarifparteien in der Stahlindustrie einigen sich in einem Pilotabschluss am 20. Februar auf 5,2?% mehr Lohn bei einer Laufzeit von 13 Monaten und eine Einmalzahlung von 200 €. Es ist der höchste Abschluss in der Branche seit 1993. Die Tarifvereinbarungen in der chemischen Industrie, im öffentlichen Dienst, im Steinkohlenbergbau, bei der Post und im Einzelhandel fallen zwar niedriger aus, liegen aber allesamt, teils deutlich, über der Inflationsrate. In allen großen Branchen bleiben flächendeckende Streiks aus; nur bei der Lufthansa kommt es zu Arbeitsniederlegungen.
Die IG Metall geht im September mit der Forderung nach 8?% mehr Lohn – der höchsten seit 16 Jahren – in die Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie. Heraus kommt am 12. November ein Kompromiss, mit dem beide Seiten das Gesicht wahren und der viel Spielraum lässt: Ab Februar 2009 gibt es eine Entgeltsteigerung um 2,1%, eine weitere um denselben Betrag soll frühestens ab Mai, spätestens ab Dezember 2009 folgen. Betriebe, denen es schlecht geht, können die zweite Erhöhung durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung verschieben. Dazu kommt eine Einmalzahlung von 510 € für November und Dezember 2008 sowie Januar 2009 und eine weitere von 122 € im September 2009. Der Vertrag endet im April 2010. In einer Situation, in der niemand wisse, wie tief der bevorstehende wirtschaftliche Abschwung ausfallen werde, sei dieser Vertrag gerade richtig, meinen die Wirtschaftsforschungsinstitute: Er enthalte einerseits flexible Elemente und gebe andererseits den Betrieben mit seiner langen Laufzeit Planungssicherheit.