Wohnungsnot und Bauplatzknappheit in den Ballungsgebieten bestimmen nach wie vor die Städteplanung in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in vielen anderen westlichen Industrienationen. Während den Büro- und Verwaltungsgebäuden die teuren Citylagen vorbestimmt sind, soll die Wohnbevölkerung nach dem Willen von Politikern und Architekten ins Umland ziehen. Zu ihrer Unterbringung entstehen dort neben weitläufigen Eigenheim-Siedlungen gigantische Trabantenstädte.
Unter ökonomischen und rein funktionellen Gesichtspunkten werden mitten auf der »grünen Wiese« riesige Hochhauskomplexe aus dem Boden gestampft. Auf der formalen Ebene übernimmt und trivialisiert man die nüchterne Architektursprache der »Neuen Sachlichkeit« der 20er und 30er Jahre mangels Alternativen und wegen ihrer Einfachheit und ihrer Eignung für billige und rasche Serienproduktion von Bauteilen. Das Endergebnis: Viele dieser Stadtrandviertel gleichen Steinwüsten - eine Ansammlung von grauen Betontürmen mit monotonen, langweiligen Fassaden, die einzig durch Fenster- und Balkonreihen gegliedert sind. Großzügige Grünanlagen fehlen ebenso wie infrastrukturelle Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Läden. Die Wirkung dieser unwirtlichen »Schlafstädte« auf ihre Bewohner lässt nicht auf sich warten. Vor allem Hausfrauen, alte Leute und Kinder klagen über Tristesse und Isolation. Alkoholismus und Kriminalität nehmen zu, die Selbstmordquote und die Zahl derjenigen, die psychiatrischer Behandlung bedürfen, steigt.
Als eines der abschreckendsten Beispiele für eine derartige Vorortsiedlung gilt das wegen seiner Maßlosigkeit und Lieblosigkeit heftig kritisierte Märkische Viertel in Berlin (West), mit dessen Bau 1963 begonnen wurde. Bis 1972 sollen dort 17 000 Wohnungen in bis zu 18 Stockwerke hohen Häusern für 60 000 Menschen entstehen.
Eine einförmige Bauweise kennzeichnet nicht nur die Hochhaussiedlungen, sondern bedroht auch zunehmend die Einfamilienhauskolonien am Stadtrand. Grund für diese Entwicklung ist die zunehmende Beliebtheit des Fertighauses. In den USA prägt es bereits das Erscheinungsbild ganzer Wohngebiete, nun beginnt es sich auch in der Bundesrepublik durchzusetzen. Jeder zweite Bauwillige erwägt, nach einer Umfrage des Kölner Instituts für Marktforschung und Absatzförderung, den Kauf eines »Hauses von der Stange«. Dazu entschließen kann sich derzeit allerdings erst jeder dreißigste. Dagegen entstehen in den USA bereits 80% und in Schweden 60% aller Einfamilienhäuser aus vorgefertigten Teilen. Die Vorteile eines Eigenheims mit den Vorteilen eines Hochhauses verbinden möchte der Kölner Architekt Josef Küppers. Er entwickelt das Modell eines »Häuser-Hauses«, bei dem 250 Einzelhäuser, jedes mit einer Grundfläche von 120 m2, zu einem Hochbau zusammengeschachtelt werden. Der Berliner Architekt Richard Gabriel schlägt zur Lösung des Wohnraumproblems einen »Wohnturm« vor. Dieser soll ganze 1250 m hoch werden und 25 000 Menschen beherbergen können - eine Kleinstadt in einem einzigen Gebäude.
Während sich die Vertreter einer uniformen und rein funktionellen Bauweise - vor allem bei Wohnhäusern - zunehmend der Kritik ausgesetzt sehen, so finden andere deutsche Architekten, wie Egon Eiermann oder Hans Scharoun, für ihre Arbeiten - auch internationale - Anerkennung. Eiermann vertritt ähnlich wie Otto Apel, Helmut Hentrich, Hubert Petschnigg u. a. eine Architektur der scharf geschnittenen Profile und vorgehängten oder ausgefachten Fassaden. Am 11. Mai 1964 wird die von ihm entworfene Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Washington, ein sechsstöckiges, terrassenförmig abgestuftes Gebäude, eingeweiht. Im Kontrast zum Stil Eiermanns stehen die Experimente Scharouns. Die Philharmonie in Berlin (West), die 1963 fertiggestellt wurde, ist ein charakteristisches Beispiel. 1964 beginnt Scharoun mit dem Entwurf für die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin (West).