Fast 82% der insgesamt 906 Mrd. Personenkilometer, die 1995 als Verkehrsleistung in Deutschland zusammenkommen, werden mit dem Pkw zurückgelegt. An dieser Dominanz des Autos wird sich - so interpretiert der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski das Ergebnis einer Umfrage unter 2600 Bundesbürgern - in absehbarer Zeit nichts ändern, weil die Deutschen am liebsten am Steuer des eigenen Wagens »einfach nur durch die Gegend fahren«. Inzwischen entfallen zwei Drittel aller Autokilometer auf den Freizeitbereich und nur ein Drittel auf den Arbeitsweg. Im Vergleich zur Freiheit in den eigenen vier Blechwänden finden viele Befragte öffentliche Verkehrsmittel zu unbequem, zu langsam und unkomfortabel. Die fehlende Mobilität am Zielort spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
Dabei wird es auf den deutschen Straßen immer enger. 1995 sind rd. 39 Mio. Pkw zugelassen, fast jeder zweite Bundesbürger besitzt - statistisch gesehen - ein eigenes Auto. Vor allem in den neuen Bundesländern ist die Verkehrsdichte seit der deutschen Vereinigung drastisch gestiegen: Zählte man 1990 noch 297 Pkw auf 1000 Einwohner, so sind es 1995 bereits 443. Spätestens im Jahr 2010, so die Prognosen, kommen in Ost und West gleichermaßen 564 Pkw auf 1000 Einwohner.
Die zunehmende Verkehrsdichte hat eine wachsende Aggressivität der Verkehrsteilnehmer zur Folge. Im Streit um eine der raren Parklücken, bei vermeintlichen Behinderungen durch langsamere Fahrzeuge oder im Miteinander von Auto-, Radfahrern und Fußgängern fehlt immer häufiger jede Rücksichtnahme. Rechte der anderen werden missachtet und Auseinandersetzungen mit Beschimpfungen, Beleidigungen und physischer Gewalt geführt. Die Straße, urteilt das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«, sei zum »Schlachtfeld« geworden.
Obwohl der Schienenverkehr gegenüber dem Auto eine untergeordnete Rolle spielt, kann sich die Bundesbahn 1995 zeitweilig vor Fahrgästen nicht retten: Als Anfang Februar das Schönes-Wochenende-Ticket eingeführt wird, mit dem zum Preis von 15 DM (ab Juni 30 DM) fünf Personen - samt Fahrrädern - samstags und sonntags in Nahverkehrs- und Eilzügen beliebig weit fahren können, sind Bahnsteige und Züge vielfach hoffnungslos überfüllt. Allein an den ersten fünf Wochenenden werden über 500 000 Billigfahrkarten verkauft.
Das Problem der durch Wochenendpendler überfüllten Züge an Freitag- und Sonntagabenden will die Bahn künftig dadurch entschärfen, dass bei Bedarf, sofern die Bahnsteige auf den Strecken dies zulassen, weitere Waggons angehängt oder zusätzliche Züge eingesetzt werden. Eine Entzerrung zu den Stoßzeiten soll außerdem ein neues Tarifsystem bringen, das vorerst allerdings nur angedacht ist: Fahrgäste, die weniger frequentierte Züge benutzen, sollen mit Preisnachlässen belohnt werden, während Bahnfahren zu den Stoßzeiten teurer wird.
Mit dem Fahrplanwechsel am 28. Mai werden bei der Bahn eine Reihe von Verbesserungen und neuen Angeboten wirksam. So sind die West-Ost-Verbindungen innerhalb Deutschlands nun schneller, und die Züge verkehren auf diesen Strecken häufiger. In den neuen Bundesländern sind viele Bahnstrecken ausgebaut und elektrifiziert worden, so dass etwa die Fahrzeit des Intercity von München über Jena und Leipzig nach Berlin gut eine halbe Stunde kürzer geworden ist. Deutlich ausgebaut sind die Verbindungen mit dem ICE und dem Schlafwagenzug CityNightLiner, aber auch im Nah- und Regionalverkehr gibt es ein umfangreicheres Angebot. Im Herbst stellt die Bundesbahn einen weiteren Typus, den TouristikZug, vor. Der im poppigen Graffiti-Look lackierte Zug mit Clubwagen, Restaurant, Bar, Kinderabteil und Konferenzwagen soll als Verkehrsmittel für Urlauber, aber auch für Konferenzen, Kongresse oder Vereinsfeiern genutzt werden.