Die Deutschen sparen nicht beim Reisen, sie sparen, um zu reisen - anders lässt sich kaum erklären, dass auch 1995 trotz nur gering steigender Nettoverdienste die Tourismus-Branche weiterwächst. Dabei profitieren Auslandsreisende von der Stärke der Mark.
Nach einem kurzen Einbruch zu Jahresbeginn laufen die Geschäfte für Pauschalveranstalter schon ab Mai wieder besser, so dass für das Urlaubsjahr 1994/95 ( 1. 11. - 31. 10. ) ein Buchungsplus von nahezu 3% erreicht wird. Der Zuwachs fällt allerdings deutlich niedriger aus als in den Vorjahren, und er lässt sich vor allem auf den ungebrochenen Nachholbedarf der Ostdeutschen zurückführen. Für die Wintersaison 1995/96 ist mit einem weiteren Buchungsplus von 2,5 bis 3% zu rechnen.
Beliebt sind weiterhin Fernreiseziele, wobei die Dominikanische Republik als preiswerte Ferienregion in der Karibik die höchsten Zuwachsraten verzeichnet. Im Trend liegen auch Australien und Florida - die USA sind nach dem Verfall des Dollars zum Billigziel geworden, das auch deutsche Einkaufstouristen anlockt. Die Pauschalreisenden profitieren gleich doppelt von der Härte der deutschen Währung: Zum einen bekommen sie in vielen Ländern bei Einkäufen mehr für ihr Geld -in Italien und Ungarn ist die Mark in der Sommersaison 1995 gemessen an der Kaufkraft 1,28 DM wert, in der Türkei und Großbritannien 1,20 DM und in den USA immerhin noch 1,10 DM. Zum anderen müssen die Reiseveranstalter, da sie ihre Angebote in Dollar abrechnen, für dieselben Leistungen weniger bezahlen, und sie geben diesen Nachlass angesichts des harten Konkurrenzkampfes an den Verbraucher weiter. So liegen die Preise für Pauschalreisen in der Wintersaison 95/96 z. B. bei Zielen in Marokko, Ägypten, auf Zypern oder den Kanaren teilweise um 10 bis 15% niedriger als im Vorjahr. Trotz der harten D-Mark ist im Deutschland-Tourismus eine Trendwende zu beobachten: Nach dreijähriger Talfahrt verzeichnet die heimische Fremdenverkehrsbranche 1995 wieder einen Aufschwung. Im ersten Halbjahr steigt die Zahl der Übernachtungen von Touristen aus dem Ausland um 5%, die von Deutschen um 3%. Allein Mecklenburg-Vorpommern rechnet für 1995 mit einem Zuwachs bei Übernachtungen zwischen 10 und 12%.
Weiterhin beliebt sind Musical-Kurzreisen, für die Veranstalter bequeme Komplett-Pakete einschließlich Anreise, Unterkunft, Verpflegung, Musical-Besuch und anderen Veranstaltungen schnüren. Allein Hamburg verzeichnet eine Million auswärtige Musical-Besucher im Jahr, die pro Kopf etwa 275 DM in der Hansestadt ausgeben.
Neu in Deutschland sind künstliche Ferienwelten, Bungalowanlagen mit überdachten, klimaunabhängigen Ferienparadiesen für die ganze Familie - eine Weiterentwicklung der sog. Erlebnis-Bäder. Nach dem Nordsee-Tropen-Park in Tossens und dem Grand Dorada Heilbachsee in der Eifel öffnet Mitte Juli 1995 der Center Parc bei Bispingen in der Lüneburger Heide seine Tore. Auf einem Gelände von 83 ha bieten Bungalows und ein Hotel 3510 Gästen Platz.
Die deutsche Pauschaltourismus-Branche gerät 1995 in Bewegung. Von der Vertriebsliberalisierung im Reisemarkt - seit dem 1. November 1994 darf auf Betreiben des Bundeskartellamts jedes Reisebüro das Angebot eines jeden Veranstalters führen - profitieren die Großen wie TUI und NUR. Mittlere und kleine Veranstalter klagen über Nachteile, da viele Büros ihre Angebotsbreite verringern, um mehr Reisen bei weniger Veranstaltern zu verkaufen und so in den Genuss eines höheren Rabatts zu kommen.
Das Kartellamt verhindert auch die geplante Elefantenhochzeit zwischen dem Tourismus-Primus TUI und dem Branchenfünften ITS (Kaufhof), da beide Unternehmen zusammen einen Marktanteil von über 30% haben. Stattdessen übernimmt die Kölner Lebensmittel-Gruppe Rewe die ITS.