Chanels Salon wiedereröffnet – Dior verblüfft mit der H-Linie

Mode 1954:

Am 5. Februar eröffnet die 71-jährige Gabrielle »Coco« Chanel nach 15 Jahren wieder ihren Modesalon. Die Reaktionen der Fachwelt sind vernichtend: »Fiasko«, »Melancholische Retrospektive«. Dennoch verkaufen sich Chanels Kostüme insbesondere in den USA sehr gut. Ihre Philosophie, dass Mode »zeitlos, alterslos, bequem, unauffällig und vor allem angenehm zu tragen sein« soll, wird von den Käuferinnen angenommen. Bereits bei der Präsentation der Herbst-Kollektion ist das Publikum von ihren Kostümen aus grobkörniger Wolle, mit der von Bordeln umrahmten, kragenlosen Jacke und dem leicht ausgestellten Rock begeistert.

Modeschöpfer Chistian Dior überrascht im Herbst Journalisten und Einkäufer mit seiner einfachen, geraden H-Linie: Die Brust ist bis auf das Äußerste hochgepresst und die Taillenmarkierung zur Hüfte hinuntergeschoben, so dass eine stark verlängerte Taille entsteht; die Hüften bleiben unbetont. Dior will damit vor allem die »enge Taille befreien«. Viele Modezeitschriften schreiben jedoch dazu, Dior wolle die Brust vollkommen negieren, und die Kleider der H-Linie ließen Frauen wie »wandelnde Bohnenstangen« aussehen.

Zwei Modestile sind 1954 verbindlich: Jener mit damenhaftem, engem Rock, der stets die berühmte Dior-Falte aufweist, und jener mit jugendlichem, weit schwingendem Petticoat. Beiden Linien gemeinsam ist die mit einem Gürtel möglichst eng zusammengeschnürte Taille sowie die Betonung der Oberweite, die notfalls durch entsprechende Einlagen verbessert wird. Die Kleider haben Matrosenkragen im Stil von Diors Maiglöckchenlinie oder einen breiten Kragen, der Dekolleté und Schultern umrahmt. Zum dekolletierten Sommerkleid gehört auf jeden Fall ein Bolero. Die Kostümjakcken sind im Schoß abgesteift, so dass der modische Hüftknick entsteht. Ein Thema bewegt in diesem Jahr die gesamte Modebranche: Modespionage. »Modespione werden teuer bezahlt, denn ein Konfektionshaus, das zu spät erfährt, wie kurz die neuen Kleider werden, kauft 75 Kilometer Stoff zu viel. Werden die Modelle eines Couturiers zu früh verraten, ist die Konkurrenz eher mit der neuen Linie heraus. Dieser Vertrauensbruch zu den eigenen Kunden ist nicht wiedergutzumachen. Zweimal jährlich zu den Kollektionsvorführungen legt die Pariser Polizei ein Abwehrkordon um die großen Modehäuser. Die Modelle werden im eigenen Haus nur verhüllt herumgetragen. Den Mannequins ist äußerste Diskretion auferlegt. Geheimagenten kontrollieren das Verhalten der Gäste, die 1200 DM pro Eintrittskarte zahlen müssen. Schreibt dort jemand mit? Klickt da eine Geheimkamera? Selbst in den umliegenden Bars und Bistros kümmert man sich darum, ob ein >Augenfotograf< die Modenschau zu früh verlassen hat und schnell ein paar der gemerkten Modelle aufzeichnet.«

Italien macht der Pariser Mode zunehmend Konkurrenz. 1954 entsteht auf Anregung von Marchese Giorgini das »Centro di Firenze per la Moda Italiana«, das im Palazzo Pitti in Florenz zweimal jährlich Schauen der italienischen »Alta Moda« organisiert. Emilio Pucci und Emilio Schuberth sind die berühmtesten Vertreter der italienischen Mode.

Großbritannien gibt den Ton bei der eleganten Herrenmode an. Im Trend ist die Rückbesinnung auf traditionelle Accessoires wie Stecktuch, Krawattennadel, Hut und Schirm. Doch die italienische Herrenschneider-Konkurrenz unter der Führung der Häuser Brioni, Litrico und Piatelli, die eine figurbetontere Linie bringen, gewinnt gegenüber den Briten zunehmend an Boden. Yves Saint Laurent und der deutsche Modeschöpfer Karl Lagerfeld machen 1954 erstmals die Modewelt auf ihre Arbeit aufmerksam, als sie den 1. Preis des Internationalen Wollsekretariats gewinnen.

Chroniknet