Obdachlose und leere Wohnungen

Wohnen und Design 1947:

In Deutschland ist die Wohnungsnot so groß, dass man es als Vaterland der Obdachlosen bezeichnet. Zahllose Familien müssen auf wenigen Quadratmetern zusammengepfercht leben. In Hamburg z. B. sind 63 000 Menschen in Behelfsquartieren, wie Gartenlauben, Baracken und Bunkern untergebracht. Wenigstens 10 000 von ihnen wohnen in Wellblechhütten, darunter 700 Kriegsversehrte in Harburg.

Die Wohnungsknappheit beruht nicht allein auf den Kriegsschäden. Zigtausende von Flüchtlingen haben vor allem in Westdeutschland dazu geführt, dass jedes bewohnbare Gemäuer genutzt wird. Ob Kegelbahn, Tanzsaal oder Stall, alles lässt sich als Behausung herrichten. Glück haben die Obdachlosen auf Borkum. Sie kommen in einer alten Kaserne unter, die sogar eine Dampfheizung hat.

Dadurch, dass die Alliierten für ihre Soldaten und Zivilisten Wohnraum requirieren, verschärft sich das Problem zusätzlich. In Düsseldorf beispielsweise droht allein im Stadtteil Stockum 5218 Menschen die Obdachlosigkeit, weil die britischen Behörden insgesamt 269 Häuser für den eigenen Bedarf räumen lassen wollen. Gleichzeitig jedoch stehen Wohnungen leer, die vor zwei Jahren beschlagnahmt worden waren. Der Magistrat der Stadt verhängt eine Zuzugssperre, um wenigstens für die zurückkehrenden Kriegsgefangenen Räume sicherzustellen.

Im östlichen Deutschland haben die Beschlagnahmen einen besonderen Hintergrund. Durch die Zusammenlegung der bisher verstreut wohnenden Sowjet-Besatzung soll ein zu vertrauter Umgang mit den Deutschen unterbunden werden, der den sowjetischen Soldaten in unerwünschtem Sinne beeinflussen könnte. Deshalb werden u. a. in Berlin-Pankow kurzfristig ganze Straßenzüge von deutschen Bewohnern geräumt. Dabei gibt es freien Wohnraum, allerdings zu Wuchermieten. Da kaum jemand diese bezahlen kann, lässt man die Zimmer leerstehen.

Chroniknet