Bundesbürger werden vom Fernweh erfasst

Urlaub und Freizeit 1957:

Wenn auch das warme Sommerwetter viele Bundesbürger im Sommer 1957 dazu verlockt, den Urlaub im eigenen Land zu verbringen, greift das Fernweh doch mit steigender Tendenz um sich: 1957 wächst die Zahl der Auslandsreisen, die Bewohner der Bundesrepublik unternehmen, um mehr als 10%.

Ganz oben auf der Skala der Reiseziele rangieren Österreich – wo wiederum Kärnten sich unter bundesdeutschen Urlaubern besonderer Beliebtheit erfreut-, die Schweiz und Italien. Hier sind die vergleichsweise nahe gelegenen oberitalienischen Seen Hauptanziehungspunkte.

Die erwartete Reisewelle nach Spanien bleibt dagegen aus. Das Land, in den letzten Jahren als preisgünstiger Feriengeheimtipp gehandelt, hat inzwischen das international übliche touristische Preisniveau erreicht und hat damit in den Augen vieler Urlauber erheblich an Attraktivität verloren. Beliebteste Reiseform sind organisierte Touren, die sich jedoch den Anschein des Individuellen geben. An den Zielorten steht zumeist ein reichhaltiges Angebot an Ausflügen, Besichtigungsfahrten oder anderen Freizeitbeschäftigungen zur Verfügung.

Die Individualisten unter den Ferienreisenden machen sich zumeist motorisiert mit Auto oder Motorrad auf den Weg, wobei je nach Einkommensverhältnissen ein Wohnwagen oder ein Zelt als Unterkunft dient. Als Zielorte werden vielfach »Oasen« abseits des aufkommenden Massentourismus gesucht. Dazu zählen die Badeorte in Belgien, den Niederlanden und an der französischen Kanal- sowie der Atlantikküste. Auch die griechischen Inseln werden von Einzelreisenden als touristisch unerschlossene Urlaubsorte entdeckt.

Laut Meinungsumfragen verbringen 1957 insgesamt 55% der Bundesbürger ihre Ferien außerhalb der eigenen vier Wände; Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren verreisen sogar zu 68%, wobei nur jeder fünfte mit den eigenen Eltern unterwegs ist.

Viel Zeit steht für die Ferien allerdings nicht zur Verfügung, weil die meisten Arbeitnehmer lediglich den gesetzlichen Mindesturlaub von zwölf Tagen pro Jahr in Anspruch nehmen können. Jugendlichen steht dagegen eine doppelt so lange Urlaubszeit (24 Arbeitstage, vier Wochen bei einer Sechs-Tage-Woche) zu.

Um dennoch in den Genuss von Reisen zu kommen, benutzen immer mehr Menschen die durch Feiertage (Ostern, Pfingsten) entstehenden verlängerten Wochenenden für einen Kurzurlaub, der häufig auch bis an relativ weit entfernte Zielorte führt.

Chroniknet