Und ewig lockt der Süden…

Urlaub und Freizeit 1973:

Tariflich festgelegte Urlaubszeiten und die 40-Stunden-Woche räumen dem Urlaubs- und Freizeitvergnügen einen hohen Stellenwert ein. Die in der Regel auf den Konsum abgestellte und durch eine Industrie durchorganisierte arbeitsfreie Zeit stellt in vielen Familien dabei ein zentrales Moment dar und muss oftmals teuer bezahlt werden. Angeboten werden die unterschiedlichsten sportlichen Aktivitäten, Entspannung und Erholung in Freizeitparks, Sauna, Schwimmbädern sowie die körperliche Ertüchtigung auf speziellen Trimm-Dich-Pfaden.

Die Hauptferienzeit, der Sommerurlaub, von den Touristikunternehmen als die »schönsten Wochen des Jahres« gepriesen, bildet immer noch den Mittelpunkt im Erholungserlebnis vieler Bundesbürger. Dabei stehen Ferienziele im sonnigen Süden Europas an erster Stelle der Beliebtheitsskala. Bezüglich der Auslandsreisen werden 1973 gleich zwei Rekorde gebrochen: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger macht zumindest eine einwöchige Ferienreise – und mehr als die Hälfte der Urlauber zieht es ins Ausland. Vor allem der Anteil der südeuropäischen Länder als Reiseziel steigt an: Italien, Spanien, Jugoslawien bieten Sonne, Meer, Wein und damit die Möglichkeit, den Alltag für einige Zeit zu vergessen. Diese Ziele werden in den meisten Fällen trotz der saisonbedingten Staus und steigender Benzinpreise mit dem eigenen Pkw angesteuert.

Neben Urlaubszielen in europäischen Ländern zeichnet sich, vor allem in besserverdienenden Kreisen, ein Trend zu fernen Urlaubsorten in Afrika, Asien und Südamerika ab. Die touristisch noch wenig erschlossenen Regionen bieten im Gegensatz zu den Stränden an der vom Massentourismus überfüllten Adria, endlose Sonnenküsten ohne Hotels und Straßen, an denen sich ein ganz individueller Aufenthalt gestalten lässt um Land und Leute im direkten Kontakt kennenzulernen Neben ausgedehnten Fernreisen liegen auch Wochenendtrips und Kulturreisen, die zumeist in die europäischen Hauptstädte führen, im Trend. Auch der USA-Tourismus steigt aufgrund der Abwertung des US-Dollars an. Insgesamt geben die Bundesbürger 14,3 Mrd. DM im Ausland aus und erreichen damit im Vergleich zu 1968 eine Steigerung um mehr als 100% (1968 = 6,3 Mrd. DM).

Die heimischen Urlaubsgebiete müssen, um mit dem Ausland konkurrieren zu können, mit besonderen Attraktionen aufwarten. Nach vierjähriger Bauzeit wird im Sommer nördlich von Eckernförde Deutschlands größtes Ferienzentrum eröffnet: Damp 2000, ein Ostseebad vom Reißbrett. Die Anlage beherbergt Läden, Restaurants, Kinos, Schwimmbäder, ein Krankenhaus sowie einen eigenen Jachthafen. 7000 Betten in Hotels, Blockhütten oder sog. Zeltdachhäusern stehen den Urlaubern zur Verfügung. Der gigantische Ferienkomplex, der einen Höhepunkt des Baubooms an der Ostsee bildet, ist aufgrund seiner wenig landschaftsgerechten Architektur heftig umstritten.

Bei jungen Leuten ohne großes Urlaubsbudget wird der Rucksacktourismus immer beliebter. Diese moderne Version der Wandervogel-Bewegung ermöglicht eine spontane Reiseplanung und viel Kontakt mit »Land und Leuten«. Mit dem nötigsten Gepäck, Zelt, Schlafsack und manchmal auch mit dem Kochgeschirr auf dem Rücken wandert oder trampt die junge Generation durch Europa. Die Ungebundenheit hat aber auch ihren Preis. Oft stehen die Tramper mit ihren Rucksäcken und vom Regen durchweicht stundenlang an der Straße, ohne eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Und auch die Jugendherbergen und Zeltplätze sind gerade in den Sommermonaten oft überfüllt, so dass die Rucksacktouristen »wild« zelten oder sich einen Platz in einer Scheune suchen müssen. Dafür erleben sie aber »Natur pur«, ersparen sich teure Hotels und überfüllte Strände und entdecken bislang noch vom Massentourismus unberührte Orte und Landschaften.

Chroniknet