Politische Polarisierung in einem der stabileren Weimarer Jahre

Politik und Gesellschaft 1928:

Das innenpolitische Klima im Deutschen Reich ist ebenso durch eine trügerische politische Stabilität gekennzeichnet. Das Streitthema des Jahres 1928, der Bau des Panzerschiffs A, zeigt, dass neun Jahre nach Abschluss des Friedensvertrags die »Schmach von Versailles« – von den Rechtsparteien, der Reichswehrspitze und den vaterländischen Verbänden immer wieder beschworen – eine unbefangene Haltung auch der Sozialdemokraten in Rüstungsfragen ausschließt. Das Taktieren der SPD schmälert zudem weiter das Ansehen der – von der Rechten im Grunde stets abgelehnten – parlamentarischen Institutionen. Die Neuregelung der Reparationsfrage, die das Deutsche Reich und seine Gläubigernationen 1928 in Angriff nehmen, wird den konservativ-nationalistischen Kräften bereits im Jahr darauf Anlass sein, gemeinsam und massiv gegen den demokratischen Staat Front zu machen.

Die Labilität des parlamentarisch-demokratischen Systems der Weimarer Republik zeigt sich außerdem darin, dass nach den Reichstagswahlen vom 20. Mai das Parteienspektrum in Bewegung gerät: Die Linksparteien SPD und KPD driften nach der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung weiter auseinander. Bei den bürgerlichen Parteien vollzieht sich ein Rechtsruck: Alfred Hugenberg, der dem nationalistisch-chauvinistischen Flügel zuzurechnen ist, übernimmt den Vorsitz der Deutschnationalen, der progressive Teil des Zentrums erleidet mit der Wahl des Geistlichen Ludwig Kaas zum Parteivorsitzenden eine Niederlage. Die Nationalsozialisten, die weiter ihre antisemitischen und antimarxistischen Hetzparolen verbreiten, werden von der Presse wenig beachtet und von den demokratischen Parteien unterschätzt.

Aber nicht nur in der Politik gibt es Grund zur Besorgnis, auch der wirtschaftliche Aufschwung im Deutschen Reich steht auf tönernen Füßen. Die starke Abhängigkeit von Auslandskrediten macht die deutsche Wirtschaft anfällig für Krisen, auch wenn die Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten ihre Machtposition behaupten können: Die häufigen Streiks, mit denen die Arbeiter ihren Anteil am Aufschwung sichern wollen, enden vielfach mit politischen und juristischen Erfolgen der Unternehmer.

Chroniknet