Ostdeutsche Frauen sind die Verlierer der Einheit

Arbeit und Soziales 1990:

Während im Westen der Konjunkturboom der Vorjahre anhält und durch die Käufer aus der DDR noch verstärkt wird, befindet sich die ostdeutsche Ökonomie spätestens seit der Wirtschafts- und Währungsunion vom 1. Juli 1990 im freien Fall. Im November 1990 suchen in den alten Bundesländern mit 6,4% der Beschäftigten so wenige Menschen Arbeit wie seit langem nicht mehr, aber in den neuen Ländern übersteigt die Quote mit 6,7% erstmals die westdeutsche Rate – um danach von einem Rekordhoch zum zu klettern.

Zur Jahreswende 1990/91 sind in Ostdeutschland 642 000 Menschen ohne Arbeit, mehr als doppelt so viele wie noch im Juli; dazu kommen knapp 1,8 Mio. Kurzarbeiter. Bei der Umwandlung der sozialistischen Plan- in die soziale Marktwirtschaft wird also vor allem die Arbeit knapp. Während Anfang 1990 in der DDR noch 9,6 Mio. Menschen ihr Geld in einem Betrieb, beim Staat oder in der Landwirtschaft verdienen, sind es bis Mitte 1992 nur noch 6,2 Mio. Menschen. Damit fällt mehr als jeder dritte Arbeitsplatz in Ostdeutschland (37%) dem ökonomischen Umbruch zum Opfer.

Vor allem die ostdeutschen Frauen sind die Verlierer der Einheit. Nach Schätzungen gehen 1990 in der DDR noch vier von fünf Frauen zwischen 15 und 65 Jahren einer Arbeit nach (Anteil in der Bundesrepublik: 58,5%). Bis Mitte 1991 muss etwa jede von ihnen wegen Arbeitsplatzverlusten aus dem Berufsleben ausscheiden. Aber nicht nur die Statistik der Arbeitslosen verdeutlicht den Umbruch, den die Bürger der ehemaligen DDR 1990 erleben, auch Ehe und Familie leiden darunter: Mit 22% verzeichnen die Standesämter 1990 fast ein Viertel weniger heiratswilliger Paare als 1989, 12% weniger Kinder werden geboren. Die Zahlen gehen 1991 um nochmals je 40% zurück.

Die Arbeitslosenzahl in den neuen Bundesländern wird gedrückt durch die ständig wachsende Zahl der »Abwanderer«. 1990 zieht es rund 350 000 Männer und Frauen auf der Suche nach einer festen Stelle in den Westen. Im November 1990 pendeln zudem täglich rund 210 000 Menschen zwischen Arbeitsplatz im Westen und Wohnung im Osten. Ihre Zahl steigt 1991 auf 450000. Vor allem die höheren Löhne in der alten Bundesrepublik bieten Anreiz für solche Strapazen. Zwar setzt z.B. die IG Metall für Ostdeutschland Lohnerhöhungen durch – im 2. Halbjahr 1990 etwa 50% –, jedoch verdienen im Januar 1991 z.B. Maschinenbauer nur 40% des Westgehalts, Chemiker gar nur 33%. Bis Ende 1991 erreichen die östlichen Tariflöhne und -gehälter gegenüber dem Westen im Schnitt 60%. Der Kauf lange ersehnter Waren wird von diesem Rückstand aber wenig gebremst. So vergrößert sich der Bestand an Pkw 1990 in den neuen Ländern um 23,5%, Hersteller von Elektronikgeräten und Inneneinrichtungen verzeichnen Umsatzzuwächse. Die Katerstimmung folgt dem Hochgefühl aber oft genug auf dem Fuß, wenn die Zinsen nicht mehr bezahlt werden können oder wenn Betrüger kräftig abgesahnt haben. So sollen sogar Ergebnisse der Stiftung Warentest gefälscht worden sein, um Versicherungen an den Mann oder die Frau zu bringen. Rund fünf Mio. Anträge für Versicherungen aller Art werden kurz nach der Währungsunion unterschrieben, ein Großteil davon mit unredlichen Zusagen, heißt es beim Bund der Versicherten. Der Schaden wird auf ca. 1 Mrd. DM geschätzt.

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