Weiter hohe Arbeitslosigkeit

Politik und Gesellschaft 1996:

Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist auch 1996 die größte Herausforderung für die Politik und die Tarifparteien. Trotz moderater Tarifabschlüsse geht der Arbeitsplatzabbau in Deutschland weiter. Im Jahresdurchschnitt sind 3,97 Mio. Männer und Frauen als erwerbslos gemeldet. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 10,1% in den alten und 16,7% in den neuen Bundesländern.

Das von der IG Metall angebotene »Bündnis für Arbeit« hat auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zwar keine Chance, jedoch werden in verschiedenen Branchen bzw. auf betrieblicher Ebene Absprachen zur Sicherung der Beschäftigung getroffen. Sie sehen z. B. Arbeitszeitverkürzungen bei Lohnverzicht als Gegenleistung für den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen vor. Seit 1991 gingen in Deutschland über 2 Mio. Arbeitsplätze verloren. Allein 1996 werden rd. 411 000 Arbeitsplätze abgebaut. Im industriellen Bereich sank die Zahl der Betriebe im gleichen Zeitraum von 54 338 auf 47 322 , die Zahl der Arbeitsplätze um ein Drittel von 9,27 auf 6,52 Mio. Gestiegen ist hingegen der Umsatz: Insgesamt zwar nur um rd. 1,6%, pro Beschäftigten jedoch von 220 710 DM im Jahr 1991 auf 318 870 DM im Jahr 1996.

Auf ihrem Gehaltskonto spüren die Menschen davon allerdings wenig: Die 1996 vereinbarten Tarifabschlüsse bedeuten für die betroffenen rd. 13,6 Mio. Arbeitnehmer in Westdeutschland durchschnittlich knapp 1,8% mehr Lohn, für 3,2 Mio. in den neuen Ländern 3,6%. Im Durchschnitt erreichen die Ost-Löhne Ende 1996 89% des West-Standards. Für 1,3 Mio. Arbeitnehmer werden 1996 Verkürzungen der Arbeitszeit wirksam. Die tariflich vereinbarte wöchentliche Regelarbeitszeit liegt Ende 1996 in Westdeutschland bei durchschnittlich 37,43 und in Ostdeutschland bei 39,53 Stunden. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln liegen die Arbeitskosten in der westdeutschen Industrie 1996 international an der Spitze. Demnach kostet eine Arbeitsstunde 47,28 DM und liegt damit um 17,30 DM über dem Durchschnitt der Konkurrenz, deutlich höher auch als in den USA und Japan. Zugleich ist aber in Westdeutschland auch die Produktivität (Bruttowertschöpfung je Stunde) deutlich höher. Weniger die hohen Stundenlöhne als vielmehr die Lohnnebenkosten machen den Faktor Arbeit in Deutschland teuer: Zu den 25,96 DM Stundenlohn kommen 21,32 DM für Beiträge zur Sozialversicherung u. Ä. hinzu. Die Senkung der Lohnnebenkosten steht daher für die Arbeitgeber neben der Flexibilisierung der Arbeitszeiten im Mittelpunkt ihrer sozialpolitischen Forderungen.

Um die Rentenversicherung zu entlasten, wird am 12. Februar durch einen Kompromiss von Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften die Frührente von der Altersteilzeit abgelöst, um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen. Im Zusammenhang mit dem sog. Sparpaket wird das Rentenalter angehoben. Zum 1. Januar 1997 steigt der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung von 19,2% auf 20,3%.

Am 1. November tritt das neue Ladenschlussgesetz in Kraft. Von der Ausweitung der Öffnungszeiten machen allerdings die Einzelhändler nur zögernd Gebrauch.

Heftige Proteste der Arbeitnehmer löst die durch das sog. Sparpaket ermöglichte Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80% des Bruttolohns aus. Mit massiven Protesten und Warnstreiks vor allem in der Metallindustrie erzwingen die Gewerkschaften zuerst am 5. Dezember in Niedersachsen einen Kompromiss, der auch für andere Branchen wegweisend wird: Die Lohnfortzahlung wird vertraglich festgeschrieben; dafür akzeptieren die Beschäftigten Einbußen bei anderen tariflichen Leistungen.

Chroniknet