Exotisches und Exklusives in heimischen Speisekammern

Ernährung, Essen und Trinken 1971:

Für den Bundesbürger bedeutet Essen und Trinken inzwischen mehr als reine Nahrungsaufnahme. Genuss und Fantasie sind gefragt. Einerseits präsentiert sich dem Verbraucher ein ständig wachsendes Warenangebot: Exotische Produkte und einheimische Spezialitäten ergänzen die Produktpalette. Auf der anderen Seite gewinnt das Anrichten der Mahlzeiten an Stellenwert. Die Devise lautet: »Das Auge isst mit.«

Die Bundesbürger geben von ihrem Haushaltsgeld immer weniger für Nahrungs- und Genussmittel aus. Der Anteil beträgt 1971 nur noch 31%; 1950 waren es 44%. Das Interesse der Bundesbürger am »Essen und Trinken« nimmt jedoch nicht ab: »Quer durch die Bevölkerung wächst die Nachfrage nach Nahrungsmitteln hohen Genres, nach Delikatessen und Frischwaren, nach Produkten mit Erleichterung für die Küchenarbeit« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. 9. 1971). Diese Entwicklung schlägt sich auch im Warenangebot nieder. Die Süßwarenindustrie z.B. verzeichnet einen »Spezialitätenboom«. Besonders gefragt sind u.a. »Happy-Joghurt-Stäbchen« oder auch Joghurt-Schokolade. Spezialbrotsorten und Feinbackwaren haben 1971 ebenfalls Hochkonjunktur. Der Trinkmilchverbrauch geht zurück, doch der Verzehr von Milchprodukten nimmt zu. Die einfache Kartoffel wird von »Spezialitäten aus Kartoffeln« abgelöst. Klöße und Kroketten kommen auf die Teller der Abwechslungshungrigen – oder gar schweizerische Rösti.

1971 überschwemmt eine Flut exotischer Früchte den bundesdeutschen Markt. Auf der diesjährigen Allgemeinen Nahrungs- und Genussmittelausstellung (ANUGA) in Köln wird eine Reihe dieser Früchte erstmals vorgestellt. Dazu gehören u.a. Kiwis (die sog. Chinesischen Stachelbeeren), Kumquats (Zwergorangen aus China), Mangos und auch Papayas.

Vom Reiz der Exotik verspricht sich auch die Getränkeindustrie große Umsätze. Zahlreiche »tropische Getränke« kommen neu auf den Markt. So kann sich der Verbraucher jetzt beispielsweise an »Mango-Likör«, »Maracuja-Saft« oder »Feigentrunk« laben.

Neben Exklusivität und Exotik setzt die Lebensmittelindustrie 1971 mehr und mehr auf Produkte mit »eingebauter Bequemlichkeit«. Zeitersparnis und leichtere Zubereitung lassen viele Verbraucher – auch eingefleischte Hausfrauen – auf Instant-Produkte, Soßen- und Dessertpulver oder Fertiggerichte aus der Tiefkühltruhe zurückgreifen. Aber auch hier zeigt sich die Vorliebe der Bundesbürger für das Besondere. Die »Pizza aus der Tiefkühltruhe« wird z.B. zum Renner der Saison. »Backen im Kühlschrank« ist die Neuheit des Jahres: Joghurtpulver, verrührt mit Frischmilch wird im Kühlschrank zu einer erfrischenden Torte.

1971 kommt auch »Farbe ins Essen«. Ein US-amerikanischer Gewürzhersteller startet eine Aktion für unschädliche Speisefarben. Damit kann z.B. blauer, grüner oder auch roter Blumenkohl serviert werden. Originelles Geschirr und ausgefallene Tischdekorationen lassen Mahlzeiten mitunter zu einem »bunten Erlebnis« werden.

Chroniknet